"Wir sind total ausgerastet"

Golden Goal von Nia Künzer jährt sich zum zehnten Mal

Sie war sieben Mal Deutsche Meisterin mit dem 1. FFC Frankfurt. Sie hat sieben Mal den DFB-Pokal gewonnen. Auch in internationalen Vereinswettbewerben war sie erfolgreich. Aber die Fußballerin Nia Künzer wird oft nur mit dem Golden Goal für die DFB-Auswahl bei der WM 2003 gegen Schweden in Verbindung gebracht. „Das ist kein Problem. Es ist schön, dass mein Name immer noch in diesem Zusammenhang fällt", sagt die 33-Jährige im DFB.de-Interview mit Mitarbeiter Sven Winterschladen.

Am vergangenen Samstag war das Finale genau zehn Jahre her. Bei Künzer verschwimmen die Erinnerungen inzwischen. Aber an die wichtigsten Details kann sich die Abwehrspielerin natürlich noch genau erinnern. Es war die 98. Minute in der Verlängerung. Freistoß von Renate Lingor. Künzer steigt hoch. Sie trifft den Ball mit dem Kopf perfekt. Sie sieht, wie er aufs Tor fliegt. Sie sieht, dass die gegnerische Schlussfrau nicht mehr dran kommt. Sie sieht, wie ihre Mitspielerinnen die Arme in die Höhe reißen. In diesem Moment weiß sie: Deutschland ist Weltmeister.

DFB.de: Frau Künzer, vor genau zehn Jahren haben Sie mit Ihrem Golden Goal Deutschland zum WM-Titel geköpft. Wie denken Sie an die Zeit in den USA zurück?

Nia Künzer: Immer mit einem Lächeln, immer mit einem Grinsen. Es war eine tolle Zeit. Es war anstrengend, aber oft auch sehr lustig. Unglaublich, dass das jetzt schon wieder zehn Jahre her ist. Einerseits ist seitdem viel in meinem Leben passiert. Andererseits sind viele Erinnerungen immer noch sehr frisch. Ich weiß zum Beispiel noch sehr genau, dass wir eine sehr harte Vorbereitung hatten. Wir sind zu einer Einheit zusammengewachsen. Nur deshalb konnten wir gemeinsam so erfolgreich sein.

DFB.de: Stört es Sie eigentlich, dass Ihre sportlichen Leistungen immer nur auf dieses Golden Goal reduziert werden?

Künzer: Nein, nein, überhaupt nicht. Es gibt doch viel Schlimmeres. Wer sich etwas mit dem Frauenfußball beschäftigt, der weiß ja Bescheid. Ich hatte in Frankfurt auch eine sehr erfolgreiche Zeit. Wir haben mit dem 1. FFC Frankfurt sieben Mal die Deutsche Meisterschaft gewonnen, sieben Mal haben wir den DFB-Pokal gewonnen, auch in internationalen Wettbewerben waren wir erfolgreich. Und eines sagen ich Ihnen ganz ehrlich: Ich werde lieber auf dieses Golden Goal angesprochen als auf meine vier Kreuzbandrisse. Auch diese Verletzungen haben meine Karriere geprägt.

DFB.de: Sie hatten vor der WM bereits drei Kreuzbandrisse. Kam die Nominierung für den Kader vor diesem Hintergrund nicht überraschend?

Künzer: Das dritte Mal ist mir das Kreuzband ungefähr ein Jahr vor der WM gerissen. Zu diesem Zeitpunkt konnte ich nicht davon ausgehen, in den USA dabei zu sein. Das war schon eine sehr schwere Zeit. Es hat etwas gedauert, bis ich es verkraftet hatte. Ich habe natürlich darauf gehofft und habe wirklich hart dafür gearbeitet. Ich war sehr glücklich, dabei sein zu können. Mit 23 Jahren war ich ja noch eine der jüngeren Spielerinnen. Umso ereignisreicher war das Turnier dann natürlich für mich.

DFB.de: Hat sich Ihr Leben durch das Golden Goal verändert?

Künzer: Teilweise schon, ja. Besonders mein Bekanntheitsgrad hat sich dadurch extrem verändert. Beruflich und finanziell habe ich sicher profitiert. Allerdings ist mein Leben auch nicht komplett auf den Kopf gestellt worden, dafür bin ich privat viel zu bodenständig. Jedoch habe ich schon versucht, einige Möglichkeiten zu nutzen, die sich mir geboten haben. Das ist völlig legitim, denke ich. Zum Beispiel bin ich inzwischen seit einigen Jahren Expertin bei der ARD für Frauenfußball. Wer weiß, ob das ohne dieses Golden Goal ebenfalls so wäre. Der WM-Titel und das Tor haben mir bestimmt einige Türen geöffnet, durchgehen musste ich schon selbst.

DFB.de: Wie haben Sie das Turnier erlebt?

Künzer: Es war ein langer Weg. Die Ergebnisse in der Vorrunde klingen klar: 4:1 gegen Kanada, 3:0 gegen Japan und 6:1 gegen Argentinien. Aber wir haben da noch nicht geglänzt. Wir mussten uns in das Turnier erst reinspielen. Vielleicht war es rückblickend auch gar nicht so schlecht, dass wir nicht direkt zum Start unsere Glanzleistung zeigen mussten. Wir konnten uns also noch steigern.

DFB.de: Das Viertelfinale war beim 7:1 gegen Russland ebenfalls noch deutlich. Dann kam das Halbfinale gegen Gastgeber USA...

Künzer: ...und das war sicher der Knackpunkt. Wir haben zwar 3:0 gewonnen. Aber es war viel enger, als es das Ergebnis aussagt. Tina Theune hat uns auf den Punkt fit gemacht für das Duell mit dem Topfavoriten. Ich weiß noch genau, wie wir von der Bank aus die Mannschaft die ganze Zeit nach vorne gepeitscht haben. Nur weil wir als Team so eng zusammengehalten haben, konnten wir dieses Aufeinandertreffen für uns entscheiden. Ich glaube noch heute, dass die USA in keiner Sekunde daran gedacht haben, gegen uns verlieren zu können. Aber an diesem Tag waren wir einfach einen Tick stärker. Nicht nur die elf Spielerinnen, die auf dem Platz standen. Ich meine alle, wirklich alle. Auch das Team hinter dem Team. Danach waren wir mental so stark und wir hatten so viel Selbstvertrauen, dass wir total zuversichtlich ins Endspiel gegen Schweden gehen konnten. Wir waren euphorisch und wollten den Titel holen.

DFB.de: Im Endspiel geht Schweden 1:0 in Führung, Maren Meinert gleicht kurz nach der Pause aus. Dann kommen Sie in der 88. Minute ins Spiel. Was denkt man in so einer Situation?

Künzer: Es war eine schwierige Situation. Tina Theune hat mir eine ziemlich einfache Anweisung mit auf den Weg gegeben. Sie hat gesagt: „Lass hinten keinen Treffer zu und mach vorne das entscheidende Tor." Das hat mich doch etwas unter Druck gesetzt. Ich war natürlich freudig und stolz, in einem WM-Endspiel in die Begegnung zu kommen. Aber ich brauchte etwas, um wirklich auf Betriebstemperatur zu kommen. Die anderen hatten ja fast 90 Minuten schon gespielt. Sie waren körperlich und emotional schon voll dabei. Ich hatte etwas Sorge, dass die Partie in die falsche Richtung kippen könnte. Aber dann kam die 98. Minute...

DFB.de: ...Freistoß Renate Lingor, Kopfball Nia Künzer...

Künzer: ...und dann war es plötzlich vorbei. Ein unglaublicher Moment.

DFB.de: Als der Ball in der Luft war, was ist Ihnen durch den Kopf gegangen?

Künzer: Das kann ich heute nicht mehr sagen. Ich würde den Moment gerne noch einmal erleben. Aber das ging alles so schnell. Ein paar Sekunden, dann brach der Jubel los. Ich habe den Moment nicht mehr greifbar, als der Ball über die Torlinie ging. Wir sind total ausgerastet. Mittlerweile habe ich gar nicht mehr die Situation damals auf dem Platz vor Augen, sondern eher das Fernsehbild. Ich habe die ganze Aktion später noch sehr oft gesehen. Es wird ja immer wieder gezeigt. Deshalb verwischt bei mir alles etwas.

DFB.de: War Ihnen sofort klar, dass es vorbei ist?

Künzer: Ja und nein. Natürlich war mir das sofort klar. Aber es dauert im Kopf ein paar Hundertstel- oder Tausendstel-Sekunden, bis das wirklich ankommt: Der Ball ist jetzt im Tor, das Spiel ist beendet, wir sind jetzt Weltmeister.

DFB.de: Was ist danach passiert?

Künzer: Ich will es so sagen: Wir haben den Anlass ordentlich genossen. Es gab eine große Party. Erst auf dem Platz, später in der Kabine und im Hotel. Geschlafen haben die Wenigsten von uns. Das war schon grandios. Und in Deutschland natürlich auch noch mal. Der Empfang auf dem Römerberg in Frankfurt war unglaublich.

DFB.de: Die mediale Aufmerksamkeit hat sich wegen des Golden Goals danach stark auf die fokussiert. Wie sind Sie damit umgegangen?

Künzer: Anfangs war es heftig. Ich habe immer versucht zu betonen, dass das eine Teamleistung war. Ich wollte den Fokus auf die Mannschaft richten. Denn ich habe ja gar nicht so viel gespielt. Aber das war den Medien kaum zu vermitteln. Für sie war ich das Gesicht dieses Turniers.

(Quelle: www.dfb.de)
(Bild: www.picture-alliance.com)

13.10.2013
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